Sonntag, 21. August 2016

#Orge l-Experimente ‪#‎Bern‬/‪#‎Biel‬, CH, Köln, demnächst auf #HR2 #Musik #neuemusik

 Neue Klänge, alte Töne.

Offenbar meint man immer noch, sich für neue ‪#‎Orgeln‬ und Neue Musik entschuldigen zu müssen. In der Kölner Kunststation St.Peter war eine Führung, während mir der dortige Organist Dominik Susteck die Orgelanlage für meine neue Sendung erklärte. Die Führerin kommentierte die Klänge, die ‪#‎Susteck‬ mir vorgeführt hatte, u.a. mit den Worten: „Solche Musik muss man mögen.“
Kann ich nur sagen: Nein. Muss man nicht. Aber man darf.


In Bern und Biel hat man sich dem Zugriff auf den Wind durch den Spielvorgang auf der Klaviatur zugewandt, dies bringt neue Ausdrucksmöglichkeiten im musikantischen Bereich, Akzente durch veränderte Anschlagsintensität bzw. Sforzati bringen ein Mehr an Vitalität ins Spiel von Einzellinien. Die Möglichkeit, den Winddruck nicht nur zu drosseln, sondern auch zu erhöhen, ist in der hier realisierten Form einzigartig im Orgelbau. Klangliche Veränderungen können bei mehrstimmigen Spiel durch reine Windregulierung und ohne Registerwechsel herbeigeführt werden, das heißt, es gibt so etwas wie eine wind-interne Registrierung durch Über- und Unterblasen. Der Interpret muss sein Tastenspiel auf ein dynamisch sensibles Instrument einstellen, das man so nur mit mechanischer Traktur bauen kann.

In ‪#‎Köln‬ findet man dagegen eine elektronisch gestützte Orgel vor, die man mit einer Vielzahl von ‪#‎Registern‬ ausgestattet hat, die z.T. erstmals in einer Kirchenorgel verbaut worden sind. Diese kann man mit großer Variationsbreite untereinander kombinieren, was, verbunden mit zwei Winddrosseln für die zwei Teilorgeln auf dem Wege der Registrierung zu einer großen Flexibilität der Klanggestaltung führt, die viele Kompositionen wesentlich organischer klingen lässt. Eine solche Variabilität fordert nachgerade eine elektrische Registertraktur, damit man eine Setzeranlage mit 4000 freien Kombinationen nutzen kann. Zusammen mit der Transponierbarkeit der ‪#‎Koppeln‬ werden die Forderungen, die die neue Musik stellt, mehr mit den Registern erfüllt als im Spielvorgang.
Im Herbst soll auf ‪#‎HR2‬ davon die Rede sein. In zwei neuen Folgen der Reihe „Werkzeuge der Neuen Musik“. Über die Orgel.

©hoeldke2016

Montag, 15. August 2016

#Orgel-Glissando - erotisch? #Orgelmusik im Wandel





Der gerade, in der Höhe gleichbleibende Orgelton, das ist der Wille Gottes.

So oder so ähnlich versuchten gewisse Orgelbauer noch 1998 in Trossingen die Ideen einer Gruppe von Orgelexperten zu kritisieren, die sich zum Ziel gesetzt hatte, neue Wege im #Orgelbau zu gehen.
Schon 1961 hatten in Bremen ein Konzert im Bremer Dom abgesagt, aus Sicherheitsgründen, wie es offiziell hieß. Auf diesem Konzert sollte Musik von Ligeti, Kagel und Hambraeus aufgeführt werden. Neue Musik. Atonal. Unsingbar. Schreien, Pfeifen, Klopfen auf der Orgelempore. Beunruhigend. Später sollte zu einem Stück von Hans Otte auch noch getanzt werden. Evangelisches Grau war in Gefahr. Nun war man doch schon entmachtet, niemand glaubte mehr das jungfräuliche, und jetzt passierten so fürchterliche Dinge. Und sie nannten das „Neue Musik“. Ein Sicherheitsrisiko.

Eine Orgel ist eben kein normales Musikinstrument. Man kann sie nicht einfach woanders spielen, wenn ihre Musik vor Ort nicht erwünscht ist.
Eine Orgel ist immer gebunden an ihren Standort. Die Menschen, die sie umgeben, machen sie zur Anwohnerin oder zur Gefangenen des Hauses.

Wird ihr Betragen goutiert, wird sie geliebt. Das entscheiden sowohl diejenigen, die sie spielen, als auch die, die bestimmen wollen, was gespielt wird. Letztere sind allzu oft diejenigen, die nichts von Musik verstehen. Aber von Grau. Und von Jungfrauen. Und haben das Sagen. Aber nur noch in der Kirche.

Die #Orgel hat etwas jungfräulich-unbeholfenes, ist mehr ein Gerät als ein Instrument, ist mehr physikalisch als musikalisch. Ein Ton auf ihr wird an- wird ausgeschaltet, ganz einfach; diese Primitivität hat durchaus ihre Berechtigung, schließlich ist der Ursprung der Orgel ein paar Jahrtausende alt. Erst der orgelspielende Mensch verleiht der Physik seine Musikalität, begegnet der gepanzerten Grobheit mit Menschlichkeit, muss tricksen in einer Welt des Unumgänglichen und ewig Bestehenden und Feststehenden, um etwas Bewegung hineinzubringen.
Nur ist der Irrtum der, dass der starre, der unverrückbare Orgelton nicht göttlichen Willen, sondern menschliche Unbeholfenheit repräsentiert. Den Musikern gelingt es immer wieder, diesen Sauriern fließende, ja elegante Bewegungen zu entlocken, letzten Endes bleibt Orgelmusik aber in gewisser Weise übergewichtig, unfähig zu echtem Legato.

Die Königin will ein neues Lied. Dafür muss sie noch ein paar Töne lernen, was heißt, ein paar? Es sind viele neue Töne, viele neue Klänge. Dafür ist sie bereit, die Schulbank zu drücken, sich ein neues Herz und auch eine neue Lunge zuzulegen. Denn sie wird mehr Luft brauchen, viel mehr. Denn die Königin will singen. Ein neues Lied.

Wenn Gott eine Sprache hat, ist es die Musik. Das weiß jeder. Sogar die Atheisten. Wenn sogar die das zugeben, soll Gott doch bitte so reden, wie sich das in einer Kirche gehört. Dafür braucht man keine neuen Instrumente. Eine Orgel, die rauscht, jault und schlägt, braucht man nicht. Die ist gottlos. Man hat sich mal festgelegt, wie Gott redet. Bei Bach. Bei Reger. Bei Liszt. Messiaen noch, aber dann ist Schluss. Das muss angenehm klingen, damit keine Zweifel aufkommen.

Ab dem Zwanzigsten Jahrhundert hat Gott nämlich nichts neues mehr gesagt. Oder doch?

Sie hießen #Ligeti, #Otte, #Bares, Peter, #Zacher und #Kagel. Sie heißen #Susteck, #Glaus, #Szathmáry, Böttcher, #Alfter und Van #Coppenolle.
Zum Glück waren es so viele, sind es so viele, dass man sie hier nicht alle nennen kann:
Diejenigen, die die Königin zum Lachen, zum Schreien, zum Jaulen, zum Atmen und zum Keuchen bringen.
Klingt das erotisch? Ja, und vielleicht ist das der Grund, dass man meint, so könne Gott nicht sein, das könne er nicht wollen. Zum Glück greifen immer wieder Menschen ins Gottgewollte ein.

Im Herbst soll auf HR2 davon im #Radio die Rede sein. In zwei neuen Folgen der Reihe „Werkzeuge der Neuen Musik“. Über die Orgel.

So weit der Werbeblock.

©hoeldke2016


Mittwoch, 10. August 2016

Pfeifendünkel - Plädoyer für Digitalorgeln (Eine traurige Orgel-Glosse)



Es herrscht Dünkel in der Welt der Orgeln, wie überall in der Musik. Bei den Recherchen für meine Sendungen auf HR2 konnte ich mich dem gar nicht entziehen. Selbst bei Künstlern von höchsten Graden sind Ressentiments gegenüber Kollegen und Musikrichtungen nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Und gewissermaßen haben sie alle ihre Berechtigung, die Künstler, die Richtungen, und auch die Ressentiments dagegen.
Jedes Thema ist geeignet. Wenn man sich für etwas entscheidet, entscheidet man sich gegen etwas anderes. Diese Ablehnung zeigt sich bei manch einem nur durch stilles Nichterwähnen, bei anderen wird man bei einem Gespräch in eine bestimmte Richtung lanciert, und dann gibt es Zunder: Gegen Ligeti, gegen Schlagzeug-Register, gegen Taizé, gegen Jazz auf der Orgel. Die Palette ist breit, jeder fordert sein Privat-Zölibat. Alle wettern!

Aber alles hat seine Grenzen, besonders, wenn es an die Verhinderung normaler kirchlicher Abläufe geht. Ich bin einige Dutzend Male im Jahr nebenberuflich als Organist unterwegs, häufig in Krankenhäusern, wo ich ziemlich beliebt bin: „Endlich passiert was im Spitals-Zwangstacet!“ In den dortigen Kapellen finden sich umständehalber kleinere Instrumente, oft elektronische Orgeln. Wenn die betagt sind (25-30 Jahre), sind die metallenen Bauteile oxydiert: Defekte Tastenkontakte sorgen dafür, dass nicht alle Töne, die ich spiele, auch erklingen. Schmutz, der in die Ritzen zwischen den Klaviertasten gefallen ist, sorgt für Hänger (Töne, die nicht ausgehen). Die Registertaster knacken oder funktionieren zum Teil gar nicht. Die Fußschweller sprechen nur unzuverlässig an. Es ist eine Strafe, auf solchen Instrumenten seinen Dienst zu versehen, geschweige denn, etwas aus der Literatur vorzuspielen.

Mein Lieblingsbeispiel: In einer Krankenhauskapelle in Wannsee befindet sich die dortige Ahlborg-Orgel in besonders beklagenswertem Zustand. Eine Reparatur kommt nicht in Frage, die Kosten würden den (Rest-)Wert des Instruments übersteigen, und nach drei Jahren wäre die Orgel in schlimmerer Kondition als im Augenblick, weil die Reparaturen Flickwerk wären; denn es gibt keine Originalteile mehr, der Reparateur müsste herumtricksen, das ist fast nie eine gute Lösung. Ein neues Instrument (5000,- bis 7000,-) ist mehr als fällig. Der Krankenhaus-Überbau stellt sich quer, was Finanzierung angeht.

Ich wandte mich an das Evangelische Konsistorium. Von dort schrieb mir einer der dortigen Ober-Kirchenmusiker einen zweiseitigen Brief, in dem er mir die Nichtzuständigkeit dieser landeskirchlichen Behörde darlegte, gleichzeitig aber auch ein erschreckendes Zeugnis  seiner Haltung gegenüber solchen elektronischen Instrumenten abgab. Er verwies, dass es im Besteben der Landeskirche läge, nur Pfeifenorgeln zu fördern und meinte, dass es in der betreffenden Krankenhauskapelle eher angebracht sei, eine kleine Pfeifenorgel zu installieren. Nun mag er ja mit der kirchenmusikalischen Praxis an so unbedeutender Stelle nicht mehr recht vertraut sein. Er schien aber zu meinen, dass er sich über den technischen Stand des elektronischen Hausorgelbaus gar nicht informieren müsse. Für ihn sind und bleiben Elektronische Kirchenorgeln minderwertige Surrogate.

Ein digitale Orgel klingt längst nicht mehr so künstlich wie noch vor zwanzig Jahren, und das hat seinen Grund: Die Töne sind gesampelt, das heißt, man hört Originaltöne, die aufgenommen wurden, und die man für die Tastatur spielbar gemacht hat, Register für Register. Ein Standardinstrument bietet die Auswahl zwischen verschiedenen unterschiedlichen Orgeln (z.B. Barock, Romantik etc.), dazu mehrere Stimmungen (Gleichschwebend, mitteltönig, Werckmeister etc.). Zwar hat man es immer noch mit einem Imitat zu tun, doch handelt es sich bei einem solchen digitalen Instrument durchaus um eine ernstzunehmende Orgel, auf der man sogar mittelgroße Stücke der Orgelliteratur durchaus spielen kann. Man findet neben der genannten Auswahl an verschiedenen Grunddispositionen etwa 30 Register mit allen notwendigen Spielhilfen. All das wusste der Schreiber des freundlichen Antwortbriefes aus dem Konsistorium offenbar nicht, und er meinte, das auch nicht wissen zu müssen.

Zum Vergleich: Eine (gebrauchte) Kleinorgel mit Pfeifen und Gebläse für immerhin 10.000,-€ bietet vielleicht fünf Register, angehängtes Pedal (Achtfuß, also ohne Tiefbass) und hat nur ein Manual. Dadurch hat man keine Möglichkeit, triomäßig zu spielen, d.h. in der Praxis, die Melodie eines Chorals hervorzuheben, indem man sie auf einer anderen Tastatur spielt; die Gemeinde kann dann besser mitsingen. Ein entscheidender Teil des Bach’schen Orgelbüchleins lässt sich darauf auch nicht oder nur unter großen Einbußen spielen, ganz zu schweigen von französischen Romantikern. Dennoch meinte man im Konsistorium, nur eine „wahre“ Orgel sei es wert, „Orgel“ genannt zu werden. Ich bewundere Kompetenz, wo immer sie auftaucht.

Es ist überhaupt nicht in Abrede zu stellen, dass eine Digitalorgel kein Ersatz für ein Pfeifeninstrument in einer großen Kirche sein kann (und auch nicht will). Für eine Krankenhauskapelle mit 40-50 Plätzen ist aber ein modernes elektronisches Instrument die bessere, weil variantenreichere Wahl für bessere Musik. Eine Pfeifenorgel in vergleichbarer Preislage klingt zwar vielleicht voller, aber wegen seiner wenigen klanglichen Möglichkeiten einseitig und im Ergebnis langweilig.

Nun habe ich während meiner Stoffsammlung für meine Orgelsendungen einige bedeutende Vertreter der zeitgenössischen Orgelmusik kennengelernt, die die Kirche oft gegen sich hatten. Allerdings muss man zu Gute halten, dass damals (in den 60ern) eine musikalische Revolution stattfand, also echte Umwälzungen in Komposition und Orgelbau, damit kann man schon mal anecken. Man hatte es mit einer Musik zu tun, die wenig gewohntes bot und die trotzdem höchst kunstfertig war, was man beweisen musste. Dazu kommt bei Kirchens immer die Angst dazu, dass sich etwas ändern könnte.

In meinem Fall ging es einfach darum, eine Krankenhauskapelle mit einem geeigneten Instrument für gottesdientliches Spiel und ab und zu ein kleines Konzert auszustatten. Ich weiß sehr wohl um den Wert und den Klang einer großen Kirchenorgel, ganz besonders, wenn ich selbst mal darauf spielen darf. Aber ich sehe nicht ein, dass in kleinen Kapellen ein Zwang zu Minimalismus, ausgedrückt in den ewig gleichen fünf Registern und einem Bass, dem schlicht eine Oktave fehlt. Dazu kommt, dass, wenn man den Wünschen im Konsistorium nachkäme, das Projekt in noch weitere Ferne rücken würde, da ein Pfeifeninstrument sehr viel teurer wäre.

Ich glaube, ich bin jetzt wieder ein Stückchen besser instruiert, warum es mit der Musik in Kirchen abwärts geht. Denn ich hatte ja bei meinem Schriftwechsel niemanden von der Geistlichkeit vor mir, dem man ja eine gewisse musikalische Unwissenheit zu billigen mag, sondern einen vorgesetzten Musiker des Kirchenkreises.

Dünkel erdrückt notwendigen Pragmatismus.
©hoeldke2016

Freitag, 8. Juli 2016

Jerôme Boateng - Eine Deutsche Eiche


Typisch deutsch!

Von mangelnder Chancenverwertung wird geredet, vom bösen Schiri und dem ungerechten Elfmeter, von den abgezockten Franzosen. Der eigentliche Todesstoß für die deutschen EM-Träume wird von den meisten Kommentatoren unterschätzt: Der Ausfall von Jerôme Boateng.

Dieser Glücksfall einer „Deutschen Eiche“: Stark, zuverlässig, fleißig, führungsstark. So stellt man sich einen echten Deutschen vor, erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Leider oft ein wenig zu ernst, ist seine Arbeit eben besser als die der meisten anderen. Er behält die Ruhe im Spiel, denkt an das Wohl der Mannschaft und zieht sie mit. Vertrauen zu ihm heißt Vertrauen zu sich und zur Mannschaft. Solche Männer braucht das Land. Charakter und Disziplin sind gefragt, Fairness und deutsche Wertarbeit.
Solche wie er gehören in die Eliten, noch ein paar, bitte! Farbe? Egal.

Der Wald besteht beileibe nicht nur aus Eichen, fest steht jedoch: Ist sie krank, leidet der ganze Wald.

Gute Besserung!

©hoeldke2016

Dienstag, 23. Februar 2016

Wie die Elektroakustische Musik zum Deutschen Zoll kam

(Logo der HP "Zoll online")

Wie die Elektroakustische Musik zum Deutschen Zoll kam

Und da habe ich bei einer Jury mitgewirkt. In einem kanadischen Wettbewerb für Elektroakustische Musik. Ehrenamtlich. Fünfzig Stücke angehört. Schlechte. Gute. Zum Glück mehr gute. Elektroakustische Stücke. Meine Freunde wissen: Ich halte diesen Krach für Musik. Für ganz normale Musik.

Leider existiert diese Jury nur online…Kanada...ist noch keine Kerbe in meinem Holz; auf meinem Wunschzettel steht Kanada schon.
Naja, man macht das mit, weil es Spaß bringt. Ein paar Tage lang hört man Musik. Eine schöne Beschäftigung. Jedes Werk wird bewertet. Möglichst kompetent, und man möchte niemandem Unrecht tun. Am Ende mailt man einen Bewertungsbogen nach Kanada. Zur Belohnung bekommt man irgendwann eine CD mit der Musik der Erstplatzierten. Jedesmal (ich habe nicht immer Zeit dafür) wenn ich das mache, der selbe Vorgang. Dachte ich.

Die CD kam. Und sie kam nicht. Es kam eine Benachrichtigung vom Zollamt. Eine Briefsendung aus Kanada sei eingegangen, die gewissen Richtlinien nicht entspreche. Ich machte mich auf den Weg, 20 Minuten mit dem Auto, und schon war ich da, in der Kufsteiner Straße, ganz nah beim alten RIAS, das Zollamt ist in einem Flachbau, der irgendwie provisorisch anmutet. Ich stellte mich an, nach einer Viertelstunde trat ich vor eine schwerathletisch anmutende Dame. Es kam mir vor, als hätte ich sie schon einmal gesehen, vor rund 30 Jahren beim Abfertigungspersonal für die Einreise nach Ostberlin, pardon, in die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin! Da war sie bei den „Grenzschutztruppen der DDR“. Aber das konnte nun wirklich nicht sein. Trotzdem, Physiognomie und Feldwebellinnentonfall stimmten. Die Uniform saß. Stramm.

Ich zeigte meinen Benachrichtigungszettel, erwähnte, dass ich wisse, um was es sich bei der Sendung handelte, um ein Gesschenk, eine CD, nicht ohne vorher meine Stimme auf das Preset "gut gelaunt" gestellt zu haben. Schon Konfuzius rät: "Ist der Feind überlegen, meide den Kampf." Der Erfolg meiner Taktik hielt sich in engen Grenzen, genau gesagt, er stellte sich nicht ein. Woran lag es? Ich weiß es nicht.
Statt ein verbindliches Lächeln zu versuchen, murmelte mein starkes Gegenüber etwas von "es isnich klar, was dadrinne is,...", wenn der Umschlag etwas enthielte, das mehr als 22Eurofuffzich wert sei, müsse ich Steuern oder Zoll (oder beides) zahlen, ich erinnere mich nicht mehr genau. Die Walküre reichte mir eine Wartenummer, Nr.71, das Display stand auf 58. Auf meine Frage, ob sie ungefähr einschätzen könne, wie lange ich warten müsste, sagte es: "Woher soll ickendet wissen?" und drehte sich um; ich begab mich zu den Warteplätzen.

Zum Glück waren meine Mitwartenden recht nett. Ein Bilderbuchpärchen war da mit einem Bilderbuchsohn, so einem Kind mit Kulleraugen, das mit jedem flirtete und persönliche Fragen stellte wie: „Musst du auch so lange warten?“ Ja, musste ich. Und dann wartete noch eine junge Dame, die Material für Motortuning aus Übersee erwartete. Ich fragte sie, ob mein Auto auch mit so einem Chip aufzufrischen wäre. „Ja, det is ganz leicht!“ Dann verriet sie mir noch, dass 15 PS mehr für meinen Flitzer rund 220 Euro kosten würden, und dass sie eigentlich Anwältin sei. Ich fand daraufhin meine PS-Zahl ausreichend.

Brünhilde hatte inzwischen ihren Schreibtisch verlassen, um zu Mittag einen anderen Drachen zu erlegen. Nach nur 120 Minuten war die 70 an der Reihe. Die nächste war meine…denkste. Die 63 und 64, die die Anzeige vorher übersprungen hatte, wurden nun nachgeholt, ich beschäftigte mich mit Magenknurren, oder beschäftigte das Magenknurren mich?

Ein und siebenzig! An Platz Nr.3. Endlich! Ich ging durch die Tür zum Platz Nr.3, ohne jede menschliche Anwandlung stand da Brünhilde. Sie sah mich nicht an, sondern las irgendetwas auf einem irgendwie amtlichen Blatt Papier. Die konfuzianische Weisheit hatte mich in den vergangenen 150 Minuten schrittweise verlassen, ich fragte, ob ich…„Moooooomänt ja? Ick mussdet hier lesen!“ Dann ging sie für eine gefühlte Woche nach hinten, kam mit einem arg beklebten Umschlag zurück und fragte, was da denn nun drinne sei. Ich erzählte nochmal von der CD und meiner ehrenamtlichen Jurorentätigkeit et cetera, „ja, det mit der CD hamse janu jesacht, wat sollickn da machen, wenn Sie dit uffmachen und dit is mehr wert als erlaubt, müssnse Steuern zahlen, is det klar, ja?“ „Wissen Sie, ich riskiere das“, nahm den Umschlag und riss ihn auf und entnahm die CD „Cache 2012“ der CEC, drückte sie der Kämpferin in die Hand. Sie drehte die Scheibe lange zwischen den Fingern, kämpfte gegen eine gewisse Trägheit ihres Kopfes und fragte schließlich: „Wat solln da druff sein?“ „Musik“, sagte ich, „die CD ist nicht aus der Schweiz, sie ist aus Kanada, was soll denn da sonst drauf sein?“ „Allet Möglije kann da druff sein, ham siene Ahnung!“ „Gut“, sagte ich, spielen wir sie ab, dann spielen wir sie eben ab…“ „Det jehtnich so ohne weiteret“, sagte die Hulk; man merkte ihr an, dass sie Spaß daran hatte, mich warten zu lassen. „Jeschenk, ja, dis muss druffstehn aufem Umschlach.“ Stand es aber nicht. Außerdem war mein Spruch mit der Schweiz am Nachbarschalter gut angekommen, man lächelte amüsiert. Das war kein Erfolg für meine Feldwebellin. Ein renitenter Bürger. Macht faule Witze über die Schweiz auf ihre Kosten.

„Was machen wir denn nun?“ fragte ich. Wieder dieses Abtasten meiner CD mit spitzen Wurstfingern. „Es ist ein Geschenk, jeder kann sehen, dass das keine fünf Euro wert ist. Darf ich jetzt bitte meine CD entgennehmen?“ „Tja, det saren Sie“, sagte Frankensteins Tochter und gab die Sendung immer noch nicht heraus, merkte dann aber doch, dass die Aussicht, mich als Schmuggler zu entlarven, nicht groß war.
Widerwillig steckte sie die CD zurück in den gepolsterten Umschlag und händigte ihn mir aus. Ich bedankte mich und sagte: „Auf Wiedersehen! Oder besser nicht.“ „Scheint mir ooch so“, meinte Brünhilde.

Die Cache-CD 2012 hatte ich übrigens schon. Keine Ahnung, warum die Kanadier mir die nochmal geschickt haben.
©Hoeldke2016

Montag, 15. Februar 2016

Offener Brief an #zweitausendeins



Auf ein Wort:

Seit Ihre Läden geschlossen sind, ist meine Lust, bei Ihnen zu kaufen, gegen null gesunken. Nun, das ist für Sie bestimmt der oft erwähnte Sack Reis in China. Das Vergnügen, bei #Zweitausendeins zu stöbern, ist nun Geschichte. Für mich war es immer der Laden in der Kantstraße, den ich besucht habe. So etwa einmal im Monat habe ich die Bücherstapel in meiner Wohnung mit Hilfe dieses Ladens und seiner Mitarbeiter aufgestockt. Ich habe Dinge gekauft, die ich nicht wirklich brauchte, die mir aber beim Einkauf schon Freude gemacht haben. Nun muss schon ein vergleichsweise großer Zufall zu Hilfe kommen, wenn es ein Buch oder sonstiges Medium gibt, das ich benötige und in Ihrem Sortiment zu finden ist.
Immerhin: In Berlin haben Sie ein Ladenangebot im wohl finstersten Bezirk Wedding bereitgestellt, das hebt die Laune aber auch nicht beträchtlich.

Ein Beispiel. In Berlin werden die alten Gaslaternen zunehmend durch energiesparende Straßenbeleuchtung ausgetauscht. Ergebnis: Die Beleuchtung wirkt unangenehm kalt, die Nachtatmosphäre leidet sehr darunter, nachgerade ein Angiff auf die Stadt, die auf Touristenbesuche angewiesen ist.
Ein Journalist (war es Martenstein?) hat daraufhin vorgeschlagen, das Brandenburger Tor, das keiner wirklich "benutzen" kann, abzureißen und stattdessen eine Mehrzweckhalle am Pariser Platz zu errichten.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie scheitern, vielleicht nicht vernichtend, damit Sie die Chance wahrnehmen können, die Welt wieder ein bisschen schöner zu machen. Amazon eröffnet ja nun Läden, da bin ich sehr gespannt, glaube aber nicht, dass es Freude macht, dort zu stöbern. Vielleicht können Sie sich ja auch selbst entschließen, trotz geringerer Gewinne wieder ein paar Läden in einigermaßen attraktiver Lage zu betreiben.

Herzliche Wünsche für eine nutzbringende Geschäftskatastrophe,
Ihr Michael Hoeldke


Ich habe diesen Brief an service@zweitausendeins.de gemailt. Antwort: "Newsletter Abmeldung erfolgreich"

Montag, 8. Februar 2016

deep web - Christopher Bauder & Robert Henke im Kraftwerk #roberthenke #monolake #klangkunst #electronica #ctm2016

die decke des kraftwerk wird zum himmel, du weißt nicht, ob sky oder heaven, schau zu!, sonst bekommst du nichts ab vom leben.  helle kugeln an langen abstrakten, die nach anderen kugeln suchen, sich verbinden, jede kugel ist ein leben.
erst eine, dann eine andere, sie können miteinander, wollen miteinander, sie lieben und hassen sich, kein unterschied, sie müssen sich verbinden, bilden linien, gruppen, ein netz, viele netze.
ein monster über dir, ganz nah und in sicherer entfernung, schwerelos sich windend, tanzend, überall diese musik.
ein dom über dir, nie hat gott so gut ausgesehen.

netzwerke gebären sich selbst. verbindungen sind bewegungen, die materie netz existiert nur durch bewegung, so lebt sie.
das leben entwickelt sich: eine reihe leuchtet, tanzt was vor, lädt ein zum mitmachen, schnell findet sich was mit einer anderen reihe, sie leuchten zusammen, greifen Raum, die farbe gleich, rote welt.

bewegung bildet farbe, man findet sich, alles künstlich, alles virtuell, täuschend unecht wie das leben da draußen. das gefühl, im netz zu sein! die bewegung ist reine täuschung, deine augen machen gerne mit, atemberaubend schnell, miteinander ist gegeneinander, die freundschaft nur ein bild, alles bildet sich ab, immer schneller, nicht einmal das tempo ist echt. manche herrschen, andere folgen.

ist das ein stern? mann ist der groß! genauso viel masse, als wär er gar nicht da, die farben, die farben, DIE FARBEN!
nein, das sind ein paar sterne, sie bilden sich streng nach der regel, bis die regel zerfließt. und immer mehr farben
farben
farben
farben
FARBEN
jede einzeln
jede in freiheit
kein gebilde mehr
kein sinn mehr
kein verstehen mehr
freiheit

enden muss es

die frage nach dem leben stellt sich
die antwort stimmt

Jetzt raus an die Luft!


©hoeldke2015
#roberthenke #monolake #klangkunst #electronica #ctm2016  

Freitag, 29. Januar 2016

Michael Vorfeld - "Glühlampenmusik" Performance und Gespräch im Berliner „ausland“


Klingender Schein

Der Perkussionst und Künstler Michael Vorfeld gastierte am 28.Januar 2016 im Berliner „ausland“  (Lychener Str.6) im Rahmen der Vorlesungs- und Konzertreihe „Die Reihe - Beiträge zu auditiver Kunst und Kultur“ des Elektronischen Studios der TU Berlin und des Studienganges „Sound Studies“ derUdK Berlin. Anschließend: Podiumsgespräch mit der Musikwissenschaftlerin Sabine Sanio.


Ich betrete den eher kleinen Konzertsaal des „ausland“, der betont spartanisch mit kleinen Notsitzmöbeln ausgestattet ist, bin früh dran, bekomme einen Sitzplatz in der ersten Reihe, sehr bald müssen die ersten Zuhörer stehen.
Ich sitze vor einem großen Tisch, der mit Leuchtmitteln, Schaltelementen und Kabeln völlig übersät ist. An einer Längsseite ist ein kleines Audiomischpult aufgestellt, das ist mit den Leuchten und Schaltern verbunden; es liefert die Klänge, zum Teil mit Tonabnehmern und Mirophonen eingefangen, an eine Saalanlage.

Michael Vorfeld macht Geräusche von Lampen zu Musik, Geräusche von Schaltern, Dimmern, den Leuchtmitteln selbst, manche kennen wir aus dem eigenen Haushalt, manche werden durch Verstärkung überhaupt erst hörbar. Sirren, Piepen, Brummen, Knacken und das, was Vorfeld daraus entwickelt.
Ich staune, wie viele verschiedene Lampentypen es gibt, wie viele davon auf der Tischfläche vor mir liegen, wie viele kleine Geräte, die ich nur zum Teil kenne und nur inetwa erkenne.

Vorfeld beginnt, die Saalbeleuchtung verlischt und macht Platz für die Lichter der Vorführung. Aus Knacksen werden Töne, sehr tiefe, andere sehr scharf. Ein Klang zieht sich wie ein Leitmotiv durch das Stück, das 40 Minuten zur Kurzweil werden lässt: Eine Art gläserne Glocke, vertraut im Klang, aber ein erstaunliches Eigenleben führend. Der Tisch wird dabei zu einem freundlichen Gewitter.

Der Künstler macht sehr schnell klar, dass hier Musik aufgeführt wird: Obwohl er improvisiert, rührt Vorfeld nie in einer trüben Suppe auf der Suche nach dem Weitergehen des Stücks, er wechselt einzelne Leuchten gegen andersartige, andersfarbige, er weiß jederzeit, was er tut, auch wenn die Entwicklung nicht bis ins Detail feststeht. Große Bögen entstehen, flächige oder rhythmische, bekannte, unbekannte Klänge bilden mit ihren Auftritten eine Satzstruktur, jeder Abschnitt hat seinen Charakter, jeder klingt anders, leuchtet anders, hat eine gute Konsistenz, die Klänge sammeln sich, sind aber kein Sammelsurium.

Vorfeld ist Musiker, er performt konzentriert, man sieht ihm an, wie wichtig das Gelingen ist. Und die Lampenmusik ist wirklich multimedial: Die Musik würde ohne die Lampen nichts besonderes darstellen, das kleine Leuchtmeer wäre ohne die Musik nichts besonderes, aber beide zusammen bilden eine Einheit, von der ganz erstaunliche Energie ausgeht. Der Klang, das Leuchten zeigen die Brüchigkeit unserer Wahrnehmung, man könnte hier ohne Strom gar nichts wahrnehmen, man denkt an den Energieverbrauch, an die Euro-Leuchtmittel. Aber die kritischen Gedanken können keinen Raum gewinnen, Gott sei Dank, in einem guten Restaurant isst man nicht wegen der Ernährung, man will genießen. Und das kann man an diesem Abend im „ausland“. Man kann die Augen schließen, das erhellt die Sache sogar noch. Schnell gibt man auf, herausfinden zu wollen, welche Lampe für welchen Klang leuchtet, man genießt die Kraft, die das Werk auf einen ausübt, den Rausch, den man empfindet, man lebt den Ritus, den Michael Vorfeld zelebriert, völlig focussiert, ganz ohne Caprice.

Es war so schnell vorbei: Ein leiser Schluss, ein Smorzando, aber ganz entschieden. Wir applaudieren gern, wir sind ist begeistert. Der Sound, von der Klangregie wunderbar in den Raum projiziert, lief ohne jedes Problem, war ein Kunstwerk für sich, die technische Leitung hatte ganze Arbeit geleistet. Forte ist eben nicht laut.

Nach der Performance das gefürchtete Podiumsgespräch. Sabine Sanio bereitet eine angenehme Enttäuschung. Sie stellt ihre Fragen so, dass man etwas über Michael Vorfeld und seine Kunst erfährt, seine Anfänge in der Klangforschung im Alter von vierzehn, die Arbeitsweise, mit der er seine Klänge verwendet, seine Gedanken über die Technik im Angesicht von Energiesparmaßnahmen. Sanio macht einen guten Job: Sie fand das Konzert selbst so gut, dass sie keine Lust hat, die Kunst mit Wissenschaft zu stören. Die Abschlussfrage, wie denn das Musikinstrument hieße, auf dem Michael Vorfeld spielt, bleibt unbeantwortet. Höchst befriedigend!

Ein toller Abend. Eintritt frei. Berlin ick liebe dir!

P.S. Wer möchte, gibt „Michael Vorfeld“ bei YouTube ein und kann sich einen Eindruck verschaffen.

©hoeldke2016




Mittwoch, 27. Januar 2016

„Herbert Brün - Musik verstehen“. Ab Februar im DEGEM Webradio @ ZKM - Slot A│Studioforum


Reminder


Der Komponist, Musiker und Forscher Herbert Brün ist eine schillernde wie in sich widersprüchliche Persönlichkeit. Er hat Musik als Informationsträger angesehen und ihre historischen Wesensmerkmale sehr stimmig entschlüsseln können.

Herbert Brün hat eine Vita, die wohl mit kaum einer anderen zu vergleichen ist. 1936 durfte er im damaligen Palästina studieren. Er hat dann in Jerusalem erfahren, dass die Nazis in Berlin seine Eltern ermordet hatten.

Sein Lebenswerk bestand darin, Kommunikationsbarrieren abzubauen. Musik ist ihm hierbei der wichtigste Informationsträger gewesen. Er hat die halbe Welt bereist und mit Vorträgen, Musik, und Graphiken erweitert.

Die Sendung „Herbert Brün - Musik verstehen“ ist die Rundfunkversion eines Vortrages, den ich im Herbst 2014 in Bern gehalten habe.

Ab Februar im DEGEM Webradio @ ZKM - Slot A│ Studioforum

Sendeplan DEGEM Webradio @  ZKM

Donnerstag, 21. Januar 2016

Was hat Elektroakustische Musik mit Heino zu tun? #electracoustic #heino





Quo vadis, oder: Was hat Elektroakustische Musik mit Heino zu tun?

Die Elektroakustische Musik ist aus dem Wunsch nach Wandel entstanden. Der Wandel in Richtung Innovation ist ihr ein ständiger innerer Motor. Trotzdem kann man nicht erwarten, dass das allen willkommen wäre.
Denn wie jede Revolution ihre Kinder frisst, hat sich auch hier ein neues Establishment gegründet, vielleicht um jedes Elektronische Studio ein eigenes, mit Gewohnheiten, Rollenverständnissen und Pfründen. Die Elektroakustische Musik ist selbst zum Bestand geworden.

Man hat damals in den Sechzigern Klaviatur, Dur, moll und Metrik auf den Index gesetzt, um eine Musikrichtung zu schaffen, die wirklich eine Neuentwicklung ermöglicht und nicht zurückgreift auf Vorhandenes. Dieses Verbot hat sich so sehr zum Dogma verselbständigt, dass bei der Entwicklung neuer elektronischer Klangerzeuger diejenigen beargwöhnt und zu Tabuobjekten erklärt wurden, die ein Klaviermanual aufwiesen; so sehr, dass ein Durakkord, der sich in diesem oder jenem Stück entwickelte oder einschlich, Kitschvorwürfe auslöste.

Wenn sich innovative Bewegungen etablieren (mehr können auch sie nicht), um dann ihrerseits neue Dogmen auszubilden, werden sie oft ärgerlicher als die Umstände, zu deren Bekämpfung sie einst angetreten waren. Der Grund hierfür ist, dass sich die Bewegten mit religiösem Eifer hinter ihren Ideen verschanzen, sich isolieren, Gedankenspiele nicht zulassen.

Was heißt das für die Elektroakustische Musik? Von Anfang an gab es kleine Denkscharmützel über grundsätzliche Fragen. Morton Subotnik sprach von „kleinen Schlachten“ in Europa, in denen es darum ging, „ob man ein Mikrophon nehmen darf oder nicht.“ Ergebnis ist gewesen, dass man die kalifornische Institution dann „Tape Music Center“ nannte. Und die war offen: Man hat in San Francisco z.B. über eine Zusammenarbeit mit Janis Joplin nachgedacht. Jeder Klang durfte Musik sein.

Die technologische Entwicklung bedingt, dass Elektroakustische Musik immer wieder neu gedacht werden muss.
Früher waren es nur die Studios für Elektronische oder Elektroakustische Musik, in denen Klangforschung betrieben wurde. Elektronik wurde groß geschrieben, war etwas besonderes, wollte entdeckt werden. In den Studios standen die großen Rechner, die man dafür brauchte, das hat sich grundlegend geändert. Kaum jemand braucht noch ein Studio, um Elektroakustische Musik zu machen. Oder doch?

Im Prinzip reicht heute ein Mobiltelephon. Den Klang, den es noch nicht gibt, gibt es nicht mehr. Damit ist aber auch eine Barriere gefallen, die „Amateure“ von „Professionellen“ getrennt hat. Auch Musiker ohne akademischen Hintergrund haben Zutritt zu elektronischen Musikwerkzeugen, den selben Werkzeugen, die auch „Studierte“ benutzen. Dabei kommen elektroakustische Verfahren auch in anderen Musikgenres zum Einsatz. Die Klänge, die man z.B. in Clubs hören kann, fordern also förmlich eine Fusion der Stile.
Dazu kommen zunehmend Klangerzeuger im Eigenbau - Software wird geschrieben, Geräte werden gelötet, montiert, geschraubt. Umfunktionierte Instrumente, erweiterte Studiogeräte oder völlige Neuentwicklungen machen große Schritte auf die Klangkunst zu. Die Nähe der Elektroakustischen Musik zur Klangkunst und zur Performance hat es schon immer gegeben.
Keine Skandalkonzerte mehr, bei denen man wütend den Saal verließ, wegen der Kunst, der geschändeten. Heute trifft man sich im Bioladen an der Kasse, ohne einen Hauch von Spannung. Die Elektroakustische Musik ist zum Stillstand gekommen.

Die Elektroakustische Musik braucht Anschub, egal, von wo. Ich habe via Hashtags Vokabeln nachgeschaut: Chiptunes, Glitch, Clicks’n Cuts, Fixed Media, alles auf der Suche nach neuen Eindrücken. Die ließen und lassen aber auf sich warten. Die Hashtags brachten nichts zutage, was ich nicht schon seit mindestens zwanzig Jahren kenne. Man klickt sich durchs Netz und hört, was Pink Floyd, Björk, the Buckinghams (60er Jahre!) gemacht haben, nur eben auf modernem Equipment. Man diskutiert über Künstler, die Stile mischen wie Triphop, Breakcore, Barock etc. mit anderen. Stile mixen. Kenne ich. Das macht James Last auch. Und Heino. Alle mixen sich was. Das muss jeder Filmmusiker machen. Musikgeschichte remixen, wie es halt so kommt. Im Westen nichts Neues. Ein bisschen mehr braucht es also schon.

#noise, #clicks&cuts, #chiptunes sind im Augenblick von Bedeutung, #Electronica hat sogar einen richtigen Markt. Das meiste wird wieder verschwinden, größtenteils, weil es der zweite Aufguss von irgendetwas früherem ist. Aber die Kids hören es und machen es, lass doch der Jugend ihren Lauf, und laufen wir mit!

Nur Vorsicht! Hashtaggen wir uns vorwärts, so werden wir ziemlich schnell auf dem Musikmarkt landen. Die Gefahr, sich allzu sehr zu kommerzialisieren, ist groß, das bedeutet, den Stillstand festzuzurren.
Aber: Forschen wir!  Erzeugen wir ein Spannungsfeld zwischen Erlaubtem und Verbotenem. Das ist immerhin ein Konzept, also auch recht aktuell.

Wir hätten damals die Chance gehabt, Tangerine Dream oder Kraftwerk gegenüber offener zu sein. Diese Chance gibt es nicht mehr. Was soll man also tun mit den Clubmuckern? Zuhören, Spaß haben, Abklopfen auf neues und dabei die Tradition am Leben lassen.

Wesentliches Merkmal der Elektroakustischen Musik ist immer das Experiment gewesen.  Die Bindung an Studios hatte immerhin den Vorteil, dass die Nähe zu Universitäten (zumindest in Deutschland und Europa) immer eine Nähe zur Forschung nach Neuland bedeutet hat. Die jungen Musiker müssen sich nun viel mehr „ums Geschäft kümmern“. So wird Geld allzu oft wichtiger als Kunst.

Aber vielleicht liegt im Remix das Geheimnis. Lassen wir Dinge zu, die verboten sind. Wagen wir den Heino. Er selbst muss es ja nicht sein. Bauen wir ein Spannungsfeld auf. Concept Art, nicht als Einzelströmung, sondern als Weg zur gegenseitigen Befruchtung. 
 
#electronicmusic #electronica #Electronic #electroacoustic #klangkunst 

©hoeldke2016

Freitag, 8. Januar 2016

Ab Februar im DEGEM Webradio @ ZKM: Herbert Brün - Musik verstehen

www.degem.de
#electroacoustic #herbertbrun

Ab Februar im DEGEM Webradio @ ZKM:

Herbert Brün - Musik verstehen



Herbert Brün


Der Komponist und Musiktheoretiker Herbert Brün (1918 - 2000) ist ein Wegbereiter der Computermusik. Ohne ihn ist der Einsatz der Informationstechnologie für die Musik in der heutigen Form nicht denkbar. Darüber hinaus hat er ein außergewöhnliches Leben gelebt.

Neben den Tätigkeiten als Komponist und Musikgelehrter war er auch Jazzpianist, bildender Künstler und vor allem Charismatiker, der wichtig wurde, als er seinen Leidensweg nicht so wichtig genommen hat.



 Als deutscher Jude in Berlin aufgewachsen, danach in Israel und den USA gelebt, ist er nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder gern gesehener Gast an europäischen und deutschen Akademien und Hochschulen gewesen. Herbert Brün ist ein Repräsentant großer menschlicher und intellektueller Kraft. Vielen Vertretern der Musik, Audiokommunikation und Informationsforschung gilt er als Idol.

Den Spuren, die Brüns Leben hinterlassen hat, ist dieser Radiobeitrag gewidmet, der auf seltene bzw. wenig bekannte Tondokumente zurückgreift.



H.Brün: Mutatis mutandis 13, Computergrafik, 60er Jahre (Ausschnitt)







Herbert Brün - Musik verstehen
Eine Sendung von Michael Hoeldke

Mittwoch, 6. Januar 2016

Tagesbeleuchtung



 Heute morgen, naja, es war halb zehn, sah ich aus dem Fenster und dachte: Oh! Was für ein schöner heller Tag! Und ich war froh. Dieser Tag konnte mich mit keiner trüben nicht enden wollenden Dämmerung von vornherein bremsen.

Und dann habe ich mich geärgert, dass es schon halb zehn war. Ich hatte bis nach 21 Uhr gearbeitet, spät gegessen und bin erst um zwei ins Bett gegangen. Eigentlich wollte ich heute morgen früher anfangen zu arbeiten.

Aber vielleicht wäre das Licht um halb neun trübe gewesen und hätte mich gleich mit eingetrübt? Ich bin nun mal empfindlich, was das Tageslicht angeht, und Weltschmerz bringt nicht immer Kunst hervor. So kann ein Scheißtag anfangen.  Es sei denn, ich mache das richtige. Ich sehe den trüben Morgen an und sage: „So kommst du mir? Das hast du dir so gedacht“ Und dann mach ich mir mein Innenlicht an und erwarte, dass es heller wird. Und fange den Tag an. Im Hellen.

©hoeldke2016