Freitag, 16. März 2018

Neue Kammermusik zum staunen - Blonk, Vorfeld, Wassermann im Berliner world in a room

Neue Kammermusik

Ein Konzert am 13.03.2018



Blonk, Vorfeld, Wassermann im Berliner world in a room

Das Trio hebt die scheinbar antipodische Widersprüchlichkeit der Instrumentengattungen Stimme/Perkussion auf. Das Schlagwerk singt, die Sänger trommeln, die Gravitation musikalischer Regelwerke scheint aufgehoben. Doch wer meint, nun sei die Revolution ausgebrochen und mit ihr würden aufgeregte und irritierte Fragen auftauchen, der irrt. Der Abend bringt Musik und keinen ästhetischen oder gar politischen Diskurs. Neue Musik, trotz ungewohnter Spiel- und Singtechnik so gekonnt vorgetragen, dass sie sich jedermann erschließt, ohne jeden Anflug von Beliebigkeit.

Neues erklingt. Nichts ist fremd. Dass man einem Schlagzeug kantable und einer Stimme perkussive Klänge abgewinnen kann, ist für niemanden ein Wunder. Die Art, auf die das an diesem Abend geschieht, erstaunt darum umso mehr.

Die beiden Vokalisten Jaap Blonk und Ute Wassermann vermögen es, mit Einsatz von Brust- und Kopfstimme und Modulationen von Vokalen, Konsonaten, Formanten, Gutturallauten oder Sprechgesten eine Klangwelt zu schaffen, deren Erforschung man nur gerecht wird, indem man nicht versucht, dieses Stimmfeuerwerk technisch nachzuvollziehen, sondern sich dieser Klangwelt stellt. So lohnt es sich, Ute Wassermanns mitgebrachtes Instrumetarium, das sie auf einem kleinen Panel bereit hält, mit geschlossenen Augen zu lauschen, also nicht deren Einsatz als Zuschauer zu überwachen. Wassermann setzt ihre Vogelstimmen, Pfeifen und anderen kleinen Klanggesellen sehr diskret ein, vermischt sie mit ihrem Gesang, lässt Stimme und Instrument überblenden, die Technik, sobald sie beherrscht ist, tritt in den Hintergrund, der Klang zählt. Wassermanns Stimmgewalt lässt jede Angestrengtheit verschwinden.
Jaap Blonk ist mehr als nur Vokalist, sein Auftritt umfasst neben dem Gesang den ausgiebigen Gebrauch von Kehlkkopf, Lippen, Atem. Da vermischt sich in einer leidenschaftlichen Affäre der Konsonanten f und b das Lippenpaar zu einem Triller im Crescendo, im nächsten Augenblick tritt Blonk vor, um mit der Geste eines sympathischen Conferenciers vemittelnde Worte zu sprechen, vorgetragen mit großem Charme. Später wird man Zeuge eines Schreis, ausgestoßen als Bekundung großen Schmerzes. Blonks variable Stimme sorgt für so manche Überraschung. Hört und schaut man ihm zu, begegnet man in seiner Performance gewiss einem Menschen, der man selber schon gewesen ist.
Beide Vokalisten schaffen es, im akusmatischen Sinne Räume zu schaffen. Die stimmlichen Äußerungen scheinen manchmal deutlich vor dem Gesicht der Sänger zu stehen. Die Zweistimmigkeit bildet oft einen gemeinsamen Klangkörper.

Für den Perkussionisten Michael Vorfeld gibt es keine Genregrenzen. Sobald er ästhetische Gebieten Gemeinsamkeiten abgewinnen will, wird er diese auch finden. Man kennt seine Kompositionen aus Lichtquellen und Lichtwelten aus Klang. Sie verbinden scheinbar unvereinbares, Licht klingt, Klang leuchtet. Heute spielt er gänzlich ohne Strom, obwohl elektrisierend. Heute sollen nur die Klänge leuchten.
Vorfeld versammelt eine Reihe zunächst unspektakulär wirkender Instrumente um sich, die er aber mit großer Selbstverständlichkeit neu interpretiert. Wichtige Sinnträger sind Geigenbögen, von denen er zeitweise zwei gleichzeitig einsetzt, auf Trommeln, Becken, Gong, Klangschale. Der Klang wird zum Sinn: Schlagzeug singt. Auch wenn Vorfeld schlägt, ist der Klang kantabel, als Solist oder im Chor, sein Instrumentarium ist vom Groove- und Beatgeber zum Vokalensemble geworden, zum Chor, verkleidet als Schlagzeug. Besondere Rolle spielt ein Streichinstrument, mit zahlreichen Klaviersaiten bestückt. Über vier Bünde gezogen, erhält Vorfeld drei unterschiedlich gestimmte Bereiche, die er mit seinen Geigenbögen streicht und streichelt, zu stehenden Arpeggien, die er behutsam, aber entschieden in sein Spiel hineinfließen lässt. Ständig muss Vorfeld neu registrieren, im Verlauf einer Phrase wechselt er oft mehrmals das Instrument. Man ist oft erstaunt, dass die Perkussion von nur einer Person gespielt wird.
Grund- und obertöniges Material schickt er damit auf die Reise, zu unseren Ohren und zu seinen beiden Partnern.

Sofort nehmen die Klänge den Hörer an der Hand und entführen ihn in ein Farbenreich, das zu sehen staunen macht, dessen Sinn aber nie im Verborgenen bleibt: Dieser Sinn heißt Musik.
Klangfarben, Phrasierungen, Ostinati, Rufen, Sprechen, Trommeln, Streichen bilden eine klare musikalische Sprache, ein Becken singt unisono mit menschlicher Stimme, freundliche Ansprache führt zu kontrollierten Explosionen, ein letzter Seufzer wird zum ersten, das Schlagwerk erklingt mit beiden Sängern im Satz.

Hauptakteur ist die Interaktion, das Zuspielen der Bälle, das Aufeinderhören, das Raum Geben. Jeder der drei Performer kann zum Aliquot eines anderen werden. Wird der Grundton leiser, wird der Klangfärber selbst zum Solo, läutet einen ein neuen Abschnitt des Stücks ein. Es gibt keine Partitur, kein Notat. Trotzdem entstehen echte Kompositionen.

Das Programm umfasst vier Stücke: Drei Duos - jeder mit jedem eines - vor der Pause, ein großes Trio nach der Pause.
Vorfeld, Wassermann und Blonk überwinden Widersprüche. Improvisation ist hier fern vom Zufall und bietet doch allen Raum für Spontaneität. Eigene Eitelkeit lässt immer Raum für die der beiden anderen. Man trägt einen Schatz zum Publikum, gemeinsam, zeigt ihn. Jeder darf sich etwas nehmen, es ist genug da. Alle drei Vortragenden verbindet eine Musizierfreude großer Strahlkraft.

Dies und noch mehr so geschehen im „world in a room - projektraum für fotografie“ in der Schöneberger Brunhildstraße. Eine kleine Galerie, ein wunderbarer Ort in berlinischer Altbauumgebung, voll Kunst und voll Klang.


world in a romm: https://www.worldinaroom.de/

Jaap Blonk: http://www.jaapblonk.com/
Ute Wassermann: http://femmes-savantes.net/lesfemmessavantes/ute-wassermann/
Michael Vorfeld: http://www.vorfeld.org/

©hoeldke 2018

Samstag, 10. Februar 2018

Charmanter Container - Die hyperMOODbox im Frankurter Hauptbahnhof


Charmanter Container

Noch bis zum 15. Februar soll sie stehen bleiben: Die hyperMOODbox dreier Frankfurter Künstler: Der Komponistin Annesley Black, des Künstlers und Komponisten Marc Behrens und der Sängerin, Performerin und Künstlerin Julia Mihaly. Platziert in die Halle des stets dicht bevölkerten Eingangsbereichs im Frankfurter Hauptbahnhof.

Entrée and welcome, please be seated! Sechs „Moods“ auf sechs Sitzplätzen in einem Abteil, jeder Platz ausgestattet mit einem Bildschirm, einem Kopfhörer und einer Steuerbox mit sechs Druckknöpfen, versehen mit je einem Emoji, von heiter bis traurig oder wütend. Drückt man einen dieser Knöpfe, bekommt man ein Video präsentiert, das zum gewählten Emoji passt, komponiert aus bewegten Bildern von tanzenden, lachenden, traurigen, wütenden Menschen, Bahnhofszubehör wie Hallen, Gleisen und Zügen und Musik, alles spielt sich im Frankfurter Hauptbahnhof ab. Drückt man den selben Knopf mehrmals schnell hintereinander, verleiht man dem jeweiligen Film ein Eigenleben, das der Zuschauer ihm einhaucht. Das nennt man fachlich-korrekt interaktiv, muss man aber nicht. Am Ende entsteht etwas wie ein Song, ein Remix aus aufgezeichneten und vorbereiteten Teilen, unmöglich festzustellen, woher gerade was kommt, denn es ist lebendig.

Mihaly, Behrens und Black verstehen es, echte Substanz mit einer heiteren Leichtigkeit auszustatten, so dass man auch die negativen Moods in etwas positives verwandelt, seien es die im Video gezeigten oder auch die selbst empfundenen. Die Gesichter unter den Kopfhörern lächeln, sind entspannt, setzen der „echten“ angespannten Welt eine erdachte, heiterere, aber nicht minder echte entgegen.

Wozu die Hektik?
Wozu der Stress?
Lass sie raus, die Träne, dann kann sie verdunsten!
Wozu weinen, wenn man lachen darf?

Hier darf man etwas. Hinein in einen Container voller Charme, naschen von der eigenen Seele! Ein öffentlicher Platz für eine Entspannungsmassage des Empfundenen, heiter, undogmatisch und uneitel.
Alles ist äußerst gekonnt gemacht. Wunderbar, dass es solche Künstler gibt und Institute, die bereit sind, etwas dafür zu bezahlen.

hyperMOODbox auf dem Frankfurter Hauptbahnhof. Hin und sich freuen!

Annesley Black: www.editionjulianeklein.de/black
Marc Behrens: www.marcbehrens.com
Julia Mihaly: www.juliamihaly.net

Gemeinnützige kulturfonds Frankfurt RheinMain GmbH
kulturfonds-frm.de


(Im April wandert die hyperMOODbox nach Darmstadt, im Juli nach Wiesbaden, und immer: Hbf)

Sonntag, 21. Januar 2018

Quo vadis, TU-Studio?

Was wird aus dem TU-Studio?

Am 17. Januar 2018 durfte es noch einmal aufleben, das Elektronische Studio der Technischen Universität Berlin: In der Veranstaltungsreihe EM4 hatte man zum zweiten Mal in die Akademie der Künste gebeten, um Musik, produziert zwischen 1978 und 2004 im TU-Studio, zu präsentieren.
 Besonders war im Anschluss an das kleine Konzert in einem Podiumsgespräch mit Folkmar Hein von der Zeit die Rede, in der er, Hein, der Studioleiter war, in den Jahren 1974 bis 2009. Hein ist das, was man in der Wirtschaft wohl einen dynamischen Menschen nennt, allerdings ohne die unter Geschäftsdynamikern übliche Geld—Macht-Attitüde. Und seine Dienstzeit war die, die man als die bemerkenswerteste Periode des Studios bezeichnen kann. Vorher hatte Boris Blacher das Studio geleitet, da hatte der Wiederaufbau-Mythos noch seine Gültigkeit, nach 2009 flaute der künstlerische Output merklich ab, der Geldhahn wurde allmählich zugedreht, besonders für die personelle Gestaltung. Kein Interesse mehr von Seiten des TU-Überbaus?

Hein hat dieses Studio erblühen lassen, indem er die Einseitigkeit des Namens Technische Universität unwirksam werden ließ. Dies war durchaus im Sinne der Namensgeber der TU, die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs noch „Technische Hochschule“ hieß. Bei ihrer Neugründung 1946 als Universität wurde das Prinzip des studium generale eingeführt, demzufolge jeder dort Studierende auch einen Mindestanteil an nicht-technokratischen Studien wie Germanistik, Kunstgeschichte oder Musikwissenschaft absolvieren musste. Dies sollte allen künftigen deutschen Regierenden erschweren, die technikaffinen Studienfächer für mögliche Kriegsmaschinerien zu instrumentalisieren. All dies unter dem wohlmeinenden Blick der britischen Stadtkommandantur, die für Berlin-Charlottenburg zuständig war.

Folkmar Hein griff diesen Gedanken auf, als er am 1.Oktober 1974 die Leitung des Studios übernahm. Seine zunehmenden Kontakte zur UdK (damals noch HdK) und zur Akademie der Künste sowie zum Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) öffneten den damaligen Fachbereich „Kommunikationswissenschaft“ in Richtung Kunst und vor allen Dingen in Richtung Musik, der nobelsten aller Kommunikationsverfahren. Das Studio entwickelte sich mehr und mehr zu einer Einrichtung für Technologie und Musik. Heins erwähnte Dynamik zeigte sich in dem Vermögen, Kontakte zu knüpfen und Veranstaltungen auf die Beine zu stellen. Einen für West-Berliner eigentlich nicht zu begehenden Weg, nämlich den in die DDR schuf er, indem er die ostdeutschen Künstler einfach in anderen Ländern des Ostblocks traf, zum Beispiel beim „Warschauer Herbst“ in Polen. Eines der bedeutendsten Projekte stellte das Festival „Inventionen“ dar, das für viele nationale und internationale Protagonisten der Elektroakustischen Musik die Türen öffnete.
Darüber hinaus schuf Hein eine Mediathek mit über 10.000 Titeln und die Internationale Dokumentation Elektroakustischer Musik mit mittlerweile über 35.000 Titeln, Kosename „EM-Doku“. Jeden Donnerstag während der laufenden Semester fand seit 1985 die Schauveranstaltung „Elektroakustische Musik Hören“ statt, bei der neue Werke und ihre Schöpfer vorgestellt wurden. „EMH“ wurde von Heins Nachfolgern Bartetzki, Straebel und Pysiewicz noch bis 2015 weiter betrieben. Um eines nicht zu vergessen: Zahlreiche Komponisten, namhafte und weniger namhafte, konnten in dem Elektronischen Studio der Technischen Universität unter fachlicher Anleitung und mit tatkräftigem Beistand arbeiten.

All dies war aus zwei Gründen möglich:

1. Der Studioleiter war eine unbefristete Vollzeitstelle, die es ihrem Inhaber ermöglichte, mittel- und langfristig zu planen.
2. Folkmar Hein schaute nicht auf Arbeitszeiten, man kann ihn ohne Einschränkung als Idealisten bezeichnen. Viele Aktivitäten betrieb er aus Eigeninitiative und unter Einsatz persönlicher Mittel.

Als er 2009 in den Ruhestand ging, wurde die Stelle Heins abgeschafft und durch ein neues Modell ersetzt: Zwei Nachfolger erhielten auf fünf Jahre befristete Verträge, das Aufgabengebiet wurde aufgeteilt -neudeutsch „gesplittet“- in technische und künstlerische Leitung. Ihre ersten Inhaber waren André Bartetzki und Volker Straebel, die diese Aufgabe gut meisterten, obwohl die Motivation, die eine halbe Fünf-Jahres-Stelle evozierte, bestimmt nicht überbordete. Andreas Pysiewicz und Henrik von Coler machten danach oft unmögliches möglich. Sie hatten nach Straebel und Bartetzki die „technische Leitung“ inne. Und die künstlerische? Machten sie nebenbei freiwillig, und zwar gut. Man schaute auch weiterhin nicht auf einen arbeitsrechtlich garantierten Feierabend. Danach schrumpfte die Stelle auf ihre Hälfte. Nun hat Henrik von Coler die Aufgabe, das Studio allein zu leiten.

Der Fachbereich hat inzwischen einen neuen Namen: „Audio-Kommunikation“. Ein moderner Name, von dem man nicht weiß, ob er sich auf die Elektroakustische Musik an der TU irgendwie auswirken wird. Oder war das alles zu viel Kunst für eine Technische Universität? Noch ist das Studio da, am Einsteinufer 17c. Wird es sich noch einmal aufschwingen? An den Studiomitarbeitern liegt es nicht. Die sind nur so umfänglich beschäftigt, dass sie gar nicht mehr dazu kommen, die EMDoku zu pflegen, die „Inventionen“ zu reanimieren oder Komponisten dort arbeiten zu lassen. Schaut man auf die Verstaltungsseite der Studiohomepage, fällt die fehlende Dichte auf (http://www.ak.tu-berlin.de/menue/elektronisches_studio/produktionen_und_konzerte/parameter/maxhilfe/). Sollte das nun alles gewesen sein?

Keine Frage an die Mitarbeiter des Studios, sondern an die Technische Universität Berlin: Das TU-Studio ist ein Forum und ein Multiplikator für die Elektroakustische Musik gewesen. Und damit für das studium generale. Ist diese Zeit nun vorbei? Vielleicht eine naive Frage.

©hoeldke 2018