Sonntag, 30. August 2015

Analog - Ein Plädoyer für Photographie mit Zelluloid

Analog - Ein Plädoyer für Photographie mit Zelluloid

Ein alte Kamera ist wertbeständig. Selbst wenn man eine analoge Spiegelreflex im Internet für 50,-€ kauft, kann man mit ihr gute Photos oder auch echte Kunst machen. In einem Film über den Meisterphotographen Martin Schoeller sieht man ihn mit einer alten Mamiya arbeiten, die im Internet in gutem Zustand allenfalls ein paar Hundert Euro kostet. Mit der macht er die berühmten Hillary-Clinton-Shots für den New Yorker. Ich glaube kaum, dass seine Photos besser würden, hätte er sie mit einer Zigtausend Euro kostenden State-of-the-Art-Kamera gemacht hätte. Er könnte sich eine solche Kamera durchaus leisten, vielleicht hat er sogar eine.

Aber Schoeller, das gilt für jeden guten Photographen, ist selbst State of the Art. Ein guter Photograph hat ein Konzept für seine Bilder, er sieht sie, bevor er abdrückt. Mit einer Kleinbildkamera für 50€ genau wie mit einer neuen Hasselblad. Jeder kann sich auf die Spuren guter Photographie begeben. Mit einer alten Kamera, die ist wertbeständig und wertvoll, gewinnt sie doch ihren Wert dadurch, dass ein Mensch sie hält. Kommt die Langsamkeit des Analogen hinzu, ändert sich der Zeitbegriff. Man nimmt sich Zeit, die man geschenkt bekommt.


Die Digitalphotographie hat Deutschland zu einem Land der Kameramänner gemacht. Jeds Event, jeder Spaziergang, alles, was irgendwie hübsch ist, wird digital eingepixelt. Insofern ist es schon wichtig, etwas besonderes zu liefern, will man in der täglichen Photoflut im Internet überhaupt beachtet werden, es sei denn, man hat sich auf Schmusetiere spezialisiert.

Die Ruhe, die die Verwendung von Zelluloid zu Photozwecken ausstrahlt, ist nicht mehr zeitgemäß. Das ist eben kein Real-Time-Arbeiten. Man braucht lange, um ein Sensorium für Kameraeinstellungen zu bekommen, damit man beruhigt abdrücken kann, ohne sofortige Kontrolle. Neben dieser Wartezeit kommt noch die Entwicklungszeit dazu, die übrigens in geeigneten Geschäften für 35-mm-Farbfilme nur etwa eine Stunde dauert, aber den meisten schon zu lang ist. Lässt man sich trozdem darauf ein, erlebt man einen unerwarteten Reiz.

Mit der Pflege der analogen Photographie reiht man sich aus. Jede Aufnahme ein Risiko. 12, 20 oder 36 Aufnahmen, und man hat einen Film verschossen. Das kostet.
Neben der Wertigkeit alter Kameras ist jede Betätigung des Auslösers ein Akt größerer Bedeutung. Paradoxon: Kostet die Aufnahme durch bessere Arbeit weniger, ist sie mehr wert. Keine Reserve einiger Hundert oder gar einiger Tausend Aufnahmen: Das erhöht den Reiz, das Risiko des Scheiterns einzugehen und dabei Erfolg zu haben.

Analog-Photographie vermittelt ein Gefühl für Endlichkeit und Wert. Ähnlich wie beim Essen: Eine kleine Portion eines leckeren Gerichts fördert den langsamen Konsum. Der Genuss und die Lust am Leben wachsen. Die Endlichkeit des Schönen macht attraktiv. Die Langsamkeit lädt zum Verweilen ein.

All dies macht das analoge Photo zum Genuss. Schon bei der Aufnahme. Digitale Erfahrung kann man dabei trotzdem wunderbar einbringen.

(Michael Hoeldke)

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