Dienstag, 3. November 2015

Emotionslosigkeit macht wütend



Emotionslosigkeit macht wütend

„Slow Motions“ - ein minimalistisches Konzert am 2. November 2015 im Heimathafen Neukölln


Ein ruhigeres Konzert habe ich noch nie besucht. Die Stücke aus Jakob Ullmanns "Solo"-Reihe können einzeln oder gleichzeitig gespielt werden; es gilt das Abendprogramm. in diesem Falle war die Wahl auf Solo I, Solo II, Solo IV und Solo V gefallen. Sinnträchtig ob dieser Nicht-Ensemble-Konstellation hatte man die vier Musiker an weit auseinanderliegenden Stellen in dem wundervoll morbiden und trübe beleuchteten Saal des Heimathafens Neukölln platziert, zu den Aufführungen verlöschte das Licht bis auf solistische Spots ganz. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so leise war’s, denn auch das Publikum atmete gänzlich unvernehmlich und war gemessen am Frühnovember erfreulich unverschnupft.

Die Spieler (Erik Drescher, Flöte; Dafne Vicente-Sandoval, Fagott; Ellen Fallowfield, Violoncello; Jane Dickson, Klavier) konnten wahrlich ihr Bestes geben, vor allen Dingen in puncto professioneller Geduld. Denn auch die tonstärkste Stelle der Aufführung verließ den Pianissimobereich nicht, eine falsche Bewegung, und das Ganze wäre ruiniert gewesen. Als ungeübter Ullmann-Hörer muss man bei diesen Stücken endlos lange darauf warten, dass etwas passiert, und wenn es dann so weit ist, geschieht dies immer an der Wahrnehmungsgrenze.
Laut Programm-Faltblatt ist es auch die Absicht Ullmanns, den Zuhörer herauszufordern, „sich in einen Modus der extremen Aufmerksamkeit zu begeben um dadurch so voll wie möglich die Musik als Wahrnehmung, Bewegung und Raum zu erfahren“.
Nun. Das habe ich getan. Ergebnis: Wenn Musiker sich im extremen Pianissimobereich bewegen, entstehen Nebengeräusche, die werden seit Mitte des letzten Jahrhunderts zunehmend musikalisch verwertet. So auch hier (die Stücke sind im Zeitraum 1992 bis 2014 entstanden). Wie bei einem Obertonsänger entstanden Binnenklänge mit einem Verlauf, der nicht endlos auf seinen Fortgang warten ließ, besonders die Flöte des wunderbaren Erik Drescher zeigte melodieartig-lineare Gestalten. Leider bildeten diese als Notfuriosi wahrzunehmenden Ereignisse die Ausnahme in der ansonsten an Ödnis kaum zu überbietenden quasi eineinhalbdimensionalen Fläche. Auch die anderen sonst ausnahmslos weiblichen Musiker bestachen durch ihre professionelle Geduld und Souveränität.

Man mag jetzt sagen, der Schreiber habe die falsche Einstelliung zu solcherlei Kompositionen, ich behaupte aber, hier einer misslungenen Aufführung beigewohnt zu haben: Die vorgetragenen Ullmann- Klänge waren im Saal des Heimathafens Neukölln so leise, dass man das Geräusch eines Kühlungsventilators (Licht, Mischpult?) dauernd zu ignorieren hatte, ein sehr anstrengender Vorgang für den Hörer; bei mir unterschritt der Nutzpegel gar das interne Rauschen meines Tinnitus. Man braucht ein leiseres Ambiente, um so etwas aufzuführen. Entspannung für ein „neues Hören“ zu erreichen war das Ziel. Ziel verfehlt.

Kaum Besserung der Lage nach der Pause bei Ernstalbrecht Stieblers dreisätzigem Opus „Im Raum/Quart solo/DUO 3“ für die Gesamtbesetzung Biliana Voutchkova, Violine/Viola; Andreas Voss, Violoncello; Ernstalbrecht Stiebler, Klavier. Die Stücke wurden übergangslos vorgetragen, was, obwohl einzeln im Zeitraum 1998 bis 2015 entstanden, völlig problemlos gelang, da außer den Besetzungsunterschieden kaum kompositorische Kontraste wahrzunehmen waren. Die Grenze des Kompositorischen ist erreicht, man wohnt einer zeitlich begrenzten Installation mit Menschen bei, Stiebler schreibt selbst im Folder: „Langsamkeit, stellenweise bis zum scheinbaren Stillstand geführt, manifestiert den Klangraum jenseits aller narrativen Figürlichkeit.“

Das Konzept des Nicht-Narrativen schien auch glänzend aufzugehen, nichts zu erzählen zu haben wirkt ermüdend, in meinem näheren Umfeld waren dann auch zwei Zuhörer eingeschlafen, zwei andere kämpften noch dagegen an, einer davon ich selbst.

Auch hier will ich aber kleine Nebenabenteuer nicht verschweigen. Besonders bei den Duettabschnitten der Streicher untereinander, man tauschte vor Allem sehr langsam vorgetragene Quinten und Quarten aus, entstanden kleine Schwebungen; welche nun Bestandteil der Komposition und welche Intonationsschwächen waren, die wohl bei mehr als zwanzig Meter auseinanderstehenden Musikern kaum zu vermeiden sind, war ohne Verfolgen einer Partitur nicht auszumachen. Jedenfalls ergab sich dadurch, dass ich den Kopf etwas drehte, eine Art Raumeindruck.

Beide Komponisten waren anwesend, und ihr Werk wurde jedesmal mit freundlich-distanziertem Applaus bedacht. Da ich mir nicht vorstellen kann, dass ich der einzige klar denkende Mensch im Publikum war, muss ich wohl mein musikalisches Rezeptionsvermögen einer strengen Prüfung unterziehen. Meinen Applaus konnte ich jedoch nur den wunderbaren Vortragskünstlern widmen.

Nie anfreunden kann mich allerdings mit der Forderung, die nach dem Zweiten Weltkrieg laut geworden ist: Emotionalität in der Musik zu vermeiden. Schon allein deswegen, weil das musikalische Menschen sehr, sehr wütend machen kann. Wir müssen einfach hinnehmen, dass Musik Gemüter bewegt, auch, wenn das so manchem politisch nicht opportun erscheinen sollte.

Anekdotisches zum Schluss. Der am Klavier sitzende Ernstalbrecht Stiebler war ständig damit beschäftigt, seine Hände mit einem Taschentuch abzutrocknen. Das wirkte so nervös, dass er sich überlegen sollte, ob es nicht doch stört in dem eher meditativen Rahmen, den er bestimmt selbst für das Anhören seiner Werke fordert.

Einige Sekunden vor Schluss, bestritten von Violine und Klavier, fiel im Publikumsbereich laut klimpernd eine Gertränkeflasche um. Das klang wie echter Protest - Flasche leer.

©hoeldke2015

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